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Die tragischen letzten Wochen der Nachtjägerbesatzung Leutnant Ludwig: Absturz über dem Reichsparteitagsgelände

Pilot Leutnant Ludwig flog nahezu alle Flugzeugtypen der Nachtjagd, darunter die Me 110 und die Do 217/N. Gemeinsam mit Bordfunker Anton Dietrich wurden ihm 13 Luftsiege überwiegend gegen britische Bomber anerkannt. Die letzten beiden Abschüsse errang Ludwig in der Nacht auf den 16. März 1945 im Luftraum über Nürnberg während eines britischen Großangriffes. Er wurde dabei jedoch selbst abgeschossen.

Die Besatzung Lt. Ludwig konnte sich über Fischbach bei Nürnberg durch Fallschirmabsprung retten. Die Ju 88 G-Serie trug die Kennung 9W+BO und gehörte der 6. Staffel der II. Gruppe im Nachtjagdgeschwader 101 an, welche in Unterschlauersbach westlich von Zirndorf stationiert war. Zur Besatzung gehörte Leutnant Herbert Ludwig (Flugzeugführer), Feldwebel Anton Dietrich (Bordfunker), sowie Unteroffizier Erich Gränitz (Bordmechaniker) und Oberfeldwebel Rottmann (Messfunker).

Eine modifizierte Variante des Mittelstreckenbombers Junkers Ju 88 wurde in der Reichsverteidigung zur Nachtjagd eingesetzt. Neuartige Funkmesstechnik ermöglichte der Besatzung das Aufspüren der alliierten Bomber auch bei Dunkelheit und ohne Sicht.

Zu den bestätigten Abschüssen der Besatzung Ludwig in der Nacht vom 16. auf den 17. März 1945 gehörte die Lancaster PA234 (bei Bürglein-Wendsdorf abgestürzt), sowie die Lancaster RF145, welche vermutlich nahe des Stalag 13d Langwasser herunterkam. Leutnant Herbert Ludwig schilderte am 21. März 1945 die Ereignisse des 16. März in einem Brief an seine Frau Gertrud:

„Beim letzten Terrorangriff auf Nürnberg habe ich 2 Viermotorige in 5 Min. abgeschossen. Ich war mitten in einem Pulk, sah gleich 4 Viermotorige auf einmal. Ich schoss 2 davon ab und wurde anschließend von einer Mosquito abgeschossen. Mein Schiff brannte lichterloh und stürzte ab. Dein Schatzilein wurde in der Maschine hin und her geschleudert und kam nicht raus. Dann war ich wenigstens mit dem Oberkörper aus dem zerschossenen Kabinendach heraus, hing aber hilflos in dem sich ständig drehen den und überschlagenden Flugzeug, sah wie sich der Erdboden ziemlich schnell näherte und wusste, dass es zu Ende ging. Ich arbeitete wie ein Wilder und plötzlich war ich frei, sauste durch die Luft, zog ruhig meinen Fallschirm. Er kam zwischen meinen Beinen hervor, es gab einen kleinen Ruck und ich war glücklich. Ich spürte voller Befriedigung, wie Blut an meinem Gesicht herunterlief und ich schwebte. Dazwischen hörte ich das Wummern der Flak und sah mich um. Ich befand mich genau über dem Reichsparteitagsgelände. In 5000 m wurde ich abgeschossen und über 3000 m war ich mit der brennenden Maschine abgestürzt. Wie ich am Boden ankam weiß ich nicht. Ich kam erst wieder zu mir, als mich Soldaten auf einer Bahre trugen. Mir wurde sehr schlecht, ich musste aufstehen und mich erbrechen. Nun erfuhr ich, dass ich bei der Landung mit dem Kopf auf eine eiserne Lore geschlagen war. Dann wurde ich bewusstlos. Ich trug eine Gehirnerschütterung davon. Ich bekam einen dicken Verband um den Kopf und legte mich schlafen. Am anderen Tag stellte ich dann fest, dass es mir ganz gut ging. Zwar waren meine Augenwimpern, Lider und auch meine Haare am Hinterkopf abgesengt. Ich hatte nur leichte Kratzer und Prellungen. Toni und Erich sind aus der Maschine bereits in 4500 m herausgeschleudert worden. Unser Meßfunker Ofw Rottmann ist auch gut herausgekommen, hat sich aber bei der Landung einen Knöchel gebrochen. Toni ist bis auf eine Brandwunde am Kopf heil. Erich hat irgendetwas mit der Atmung. Ist deshalb heute ins Lazarett gefahren. So ist also die ganze Angelegenheit noch für uns gut abgelaufen. Beim vorletzten Einsatz waren 2 mal Mosquitos hinter mir. Ich habe sie natürlich abgeschüttelt. Über Nürnberg habe ich allerdings nicht damit gerechnet. Rasper hat in der gleichen Nacht eine Viermotorige abgeschossen und wurde von dem Heckschützen auch abgeschossen. In spätestens 14 Tagen werde ich wieder fliegen. Jeder Bomber, der in meinem Visier erscheint, wirft keine Bomben mehr auf Frauen und Kinder. Dieses Wort will ich halten“

(Archiv Friedrich Braun, Brief aus dem Nachlass von Herbert Ludwig an Frau Gertrud Ludwig)

Die Darstellung, Herbert Ludwig sei von einer Mosquito abgeschossen worden ist anzuzweifeln. Die Mosquito hatte keine Schrägbewaffnung, außerdem hatte keine Mosquito für den Angriff am 16. März 1945 einen Abschuss beansprucht. Definitiv wurde demnach Ludwig von einem eigenen Nachtjäger abgeschossen. In der Euphorie des zweiten Abschusserfolges hat der Bordfunker nach hinten wohl nicht aufgepasst.

Eine der wenigen Originalaufnahmen einer Ju 88 mit Schrägbewaffnung („Schräge Musik“).

Der Bordfunker Anton Dietrich hatte sich mit 17 freiwillig zur Luftwaffe gemeldet. Am 5. Oktober 1939 zog er die blaugraue Uniform an. Nach längerer Ausbildung in verschiedenen Funkerschulen wurde Dietrich im April 1941 als Bordfunker zum NJG 101 kommandiert. Bis zum 23. April 1945 hatte er insgesamt 567 Flüge vorzuweisen, davon 95 Feindflüge. Für die Abschusserfolge und Einsätze wurde Anton Dietrich mit dem EK I und der silbernen Frontflugspange ausgezeichnet. Er überlebte den Krieg und schilderte die Ereignisse vom 16. März 1945 gegenüber Friedrich Braun wie folgt:

„Am Abend des 16. war wieder einmal Sitzbereitschaft befohlen. Starke britische Bomberverbände flogen über Frankreich in Richtung Süddeutschland. Als die Verbände weiter Ostkurs hielten, bekamen wir um 20.45 Uhr Startfreigabe. Von der 6. Staffel der II./NJG 101 wurden sechs Maschinen vom Typ Ju 88-G auf den Bomberstrom angesetzt. Auf der Jägerleitfrequenz wurden wir auf die vom Westen anfliegenden Verbände geführt. Der Jäger-Leitoffizier führte uns in dieser Nacht direkt in den Bomberstrom. Als sich in meinem NS2-Gerät die Zacken der Bomber darstellten, erkannten wir kurz darauf die Schatten von vier englischen Bombern. Herbert schob die „Ju“ unter die am nächsten fliegende Maschine. Es war eine viermotorige Lancaster. Wir kamen um 21.35 Uhr in Schussposition. Als Herbert den Bomber voll im Fu.MG 202 hatte, drückte er den Auslöseknopf der Schrägbewaffnung (Schräge Musik), die zwei MG 151/20 mm donnerten los. Nach kurzen Feuerstößen, die direkt im Rumpf des Gegners verschwanden, zeigte der Bomber Wirkung. Die Lancaster schmierte über die Tragfläche ab und kippte brennend nach unten weg. Während ich noch den Aufschlag beobachtete und die Zeit notierte, hatte sich Herbert bereits an die nächste Lancaster herangearbeitet. Um 21.41 Uhr kamen wir erneut in Schussposition. Nach wenigen Treffern aus der Schrägen Musik montierte der Bomber ab und schlug bei Fischbach/Langwasser brennend auf. Wir hatten uns in dieser Phase voll mit diesem Gegner beschäftigt und ich weiß heute noch nicht, wie es dazu kam. Plötzlich krachte es hinter mir in unserer Maschine. Bruchteile danach wurde ich förmlich aus meinem Sitz gerissen und stürzte durch die Nacht nach unten. Uns hatte wahrscheinlich eine Mosquito den Rumpf unmittelbar hinter der Kanzel regelrecht mit einer Garbe abgesägt. Ich konnte meine Reißleine ziehen. Der Schirm öffnete sich und ich schwebte durch die eisenhaltige, eiskalte Luft. Über mir zerplatzten die Geschosse der Flak. Als ich das bl-bl-bl-bl-bl der Bombermotoren hörte, jagte mir der Schreck durch die Glieder. Ich dachte nur noch, hoffentlich bleibe ich nicht an einer Tragfläche hängen oder es fliegt einer direkt in mich hinein. Unter mir blitzte und krachte es über dem Stadtgebiet von Nürnberg. Ich wurde etwas abgetrieben. Als ich mich dem Boden näherte, konzentrierte ich mich auf die Landung. Im letzten Moment huschte ich an einem Kirchturm vorbei und schlug unmittelbar danach auf ein relativ steiles Ziegeldach auf. Der Fall schirm legte sich auf die andere Seite des Daches. Ich hing in den Gurten ein paar Meter über der Erde. Den Krach, den ich auf dem Dach verursachte, muss der Bauer gehört haben, denn kurze Zeit später rückte er mit einer Mistgabel bewaffnet an. Nach dem Verständnis der Bevölkerung musste jeder Fallschirmspringer ein Engländer sein. Im reinsten Bayrisch erklärte ich dem Mann den Sachverhalt und bat ihn, dass er mich aus meiner misslichen Lage befreit. Zwischenzeitlich waren noch andere Zivilisten dazugekommen. Ganz trauten sie mir nicht, denn ich trug eine englische Pilotenjacke, die wir uns von den Kameraden der anderen Feldpostnummer eingetauscht hatten. Das mit den Jacken haben übrigens auch meine Kameraden so gemacht. Es war üblich, dass die abgeschossenen Piloten zu uns auf den Flugplatz gebracht wurden. Dort wurden sie bewirtet. Nachdem die Briten oder Amerikaner in der Gefangenschaft keine direkte Verwendung für pelzgefütterte Lederjacken mehr hatten, haben wir sie bei dieser Gelegenheit eingetauscht. Ich war in Fischbach bei Nürnberg heruntergekommen. Die Leute begleiteten mich zum Bürgermeisteramt. Von der Polizeiwache aus konnte ich dann meine Staffel in Unterschlauersbach verständigen. Mein Kamerad Unteroffizier Erich Gränitz, der Bordmechaniker, landete in einer Flakstellung bei Fischbach. Erich wäre am liebsten dortgeblieben, denn in der Stellung waren nach seinen Angaben lauter hübsche Mädchen, die dort Dienst als Stabshelferinnen oder RAD-Maiden taten. Von den Mädchen wurde er gut versorgt. In dieser Nacht hatten wir einen Gastflieger, den Ofw. Rottmann, mit an Bord. Die Leute von der Leitstelle oder von anderen Diensten rissen sich nämlich drum, mit guten Besatzungen einen Frontflug zu absolvieren, der dann im Leistungsbuch, womöglich noch als Abschussbeteiligung, notiert wurde. Der Ofw. hat mit einem Knöchelbruch den Absprung geschafft. Größere Schwierigkeiten hatte eigentlich nur Herbert Ludwig, der anfänglich nicht aus der Maschine freikam.“

(Archiv Friedrich Braun, Interview mit Anton Dietrich)

Wie durch Leutnant Ludwig beschrieben stürzte in der Nacht vom 16. auf den 17. März nicht nur seine Maschine ab, sondern auch die seines Kameraden Leutnant Rasper. Weitere Verluste des NJG 101 in dieser Nacht sind nicht bekannt. Das Schicksal der beiden Besatzungen, ihr Einsatz beziehungsweise die Gefechtsberichte sind heute nicht nur durch die Aussagen und Briefe gut belegt. Von den Engländern abgehörte Funksprüche geben einen detaillierten Einblick in die Zahlen und Daten der in dieser Nacht eingesetzten Maschinen. Ohne dass man dies auf deutscher Seite ahnte, hatte der englische Nachrichtendienst das deutsche Funkverschlüsselungssystem geknackt und konnte sämtliche Funksprüche mit teils kriegsentscheidenden Meldungen mithören. Auch die Meldungen der II./NJG 101 über den Einsatz in der Nacht auf den 16. März 1945 wurden penibel mitgeschrieben und damit für die Nachwelt dokumentiert. Der zweite Abschuss der Besatzung Ludwig etwa wurde am 18. März also zwei Tage nach dem Einsatz wie folgt protokolliert und verschlüsselt an eine andere Dienststelle übersendet: (Hinweis: Die Zeitangaben erfolgten in britischer Zeitzone, sind also um eine Stunde verschoben)

Abgehörter „Ultra“-Funkspruch der II./NJG 101 mit dem Gefechtsbericht der abgeschossenen Lancaster bei Fischbach.

Der Ablauf des Geschehens ist damit also detailreich überliefert. Es stellt sich nur noch die Frage, wo Leutnant Ludwigs Maschine aufgeschlagen ist. Es heißt, dass in dieser Nacht eine Ju 88 bei Fischbach und eine direkt auf dem Reichsparteitagsgelände nahe der Kongresshalle aufschlug. Eine Unterscheidung, welche Maschine davon Ludwig flog und welche Rasper, fällt schwer und kann nicht eindeutig getroffen werden. Bordfunker Dietrich beschreibt, dass er direkt in Fischbach landete, Bordmechaniker Gränitz in der Flakstellung südwestlich von Fischbach und Ludwig selbst gibt an, unmittelbar über dem Reichsparteitagsgelände abgesprungen zu sein. Es liegt also nahe, dass die Maschine grob von Ost (Fischbach) nach West (Reichsparteitagsgelände) abstürzte und es sich bei der Ju 88 an der Kongresshalle um die Maschine von Ludwig handelte. Auch Braun muss zu diesem Schluss gekommen sein, denn in seinen Unterlagen gibt er als Absturzort der Maschine von Leutnant Ludwig lediglich „Reichsparteitagsgelände“ an. Vermutlich stürzten Raspers und Ludwigs Maschine fast zeitgleich in entgegengesetzter Flugrichtung im Luftraum über Fischbach/Nürnberg ab. Es ist unwahrscheinlich, dass es während des Bombenangriffs bei Nacht weitere Augenzeugen des Vorfalls gegeben hat. Auch über die Beräumung der Trümmer gibt es keinerlei Erkenntnisse. Vermutlich sind später die Flugzeugteile neben der großen Masse an Trümmerschutt kaum weiter aufgefallen.

Auszug aus dem Flugbuch des Bordfunkers Feldwebel Anton Dietrich. Für den Flug am 16. März ist die Startzeit 20.45 Uhr sowie „Fischbach/Nürnberg“ vermerkt. Die Besatzung Ludwig absolvierte insgesamt mehrere hundert Feindflüge, welche im Flugbuch vermerkt sind. Alle Einträge sind durch die vorgesetzten Dienststellen abgezeichnet und abgestempelt worden und belegen die Richtigkeit der Eintragungen. Die gezeigte Seite belegt, dass Bordfunker Dietrich auch bei anderen Besatzungen (Schwab und Martin) mitgeflogen ist. Die Einheit war erst zwei Wochen vor dem Absturz in Fischbach aus dem Einsatzraum Ungarn zurückgekehrt. Neben der Ju 88 flog Dietrich auch auf der Do 217 und der Me 110.
Vermutlich stürzte die Ju 88 von Leutnant Ludwig entlang der rot markierten Linie ab. Bordfunker Dietrich, der wohl als Erster absprang, landete auf einem Hausdach in Fischbach (1), Gränitz landete in der Flakstellung Fischbach (2) und Leutnant Ludwig landete irgendwo auf dem Reichsparteitagsgelände (3). Er beschreibt, mit dem Kopf an eine Lohre geschlagen zu sein. Verbindet man die bekannten Landestellen der Besatzungsmitglieder, so kommt man zu dem Schluss, dass die Maschine selbst wahrscheinlich irgendwo im Bereich der Kongresshalle aufgeschlagen sein muss. Der genaue Ort lässt sich nur schwer bestimmen, da ein brennendes Flugzeug durch Trudelbewegungen beim Absturz ständig den Kurs änderte. Zwischen den durch Bombardements schwer beschädigten Gebäuderuinen dürften die Flugzeugtrümmer keine große Aufmerksamkeit erregt haben. Denkbare wäre auch, dass das Flugzeug in eine der angrenzenden Wasserflächen stürzte. Zumindest fanden sich keinerlei Berichte oder Aufzeichnungen zu einem abgestürzten Flugzeug. Oft wurden unliebsame Relikte des Krieges in der Nachkriegszeit in Bombentrichtern entsorgt, welche anschließend mit Erde verfüllt wurden. Der Bereich um die Kongresshalle hat sich baulich seit dem Zweiten Weltkrieg kaum verändert. Es wäre also durchaus denkbar, dass bei Erdarbeiten Flugzeugtrümmer von Ludwigs Maschine gefunden werden.

Doch damit wäre das Kapitel der Besatzung Ludwig im Landkreis noch nicht abgeschlossen: US-Fahrzeugkolonnen auf der Autobahn A 9 Berlin/München waren in der Höhe von Lauf vom 16. bis 25. April 1945 mehrmals das Ziel deutscher Jabos und Nachtbomber. An diesen Angriffen waren auch Maschinen der IV. Gruppe Nachtjagdgeschwader 6 beteiligt. Am 24. April 1945 gegen 20.30 Uhr griffen zwei deutsche Ju 88 Nachtjäger südlich von Lauf links und rechts neben der Autobahn Biwaks der Amerikaner an. Ein Zeitzeuge, der den Anflug beobachtete, berichtete:

“Die Maschine flog mehrere Angriffe. Die Amis stoben auseinander und verkrochen sich unter den Fahrzeugen. Nachdem sich die Amerikaner von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, schlug der erneut anfliegenden Maschine ein wildes Abwehrfeuer aus hunderten von Maschinenwaffen entgegen. Das Flugzeug wurde beim dritten oder vierten Anflug getroffen. Die Maschine zog in niedriger Höhe über Letten und stürzte in den morastigen Wald. Die Absturzstelle liegt 150 m südlich vom heutigen Waldgasthof-Hotel Letten. Bei dem Aufschlagbrand detonierte noch Stunden später die Bordmunition. Die Besatzung kam bei dem Absturz ums Leben. Ein Mann verbrannte im Flugzeug. Einer konnte noch aussteigen. Wahrscheinlich wegen zu geringer Höhe öffnete sich der Fallschirm nicht mehr voll, der Mann blieb in den Bäumen hängen und wurde dabei tödlich verletzt. An einen dritten Mann aus der Besatzung er innere ich mich nicht. Bei den Einheimischen ist die Absturzstelle als das „Fliegerloch“ bekannt. Die Reste der Ju 88/G-6, mit der Kennung Z 9-10, wurden zum begehrten Objekt. Von den Spezialisten unter den Altmaterialsammlern wurden im Sommer ’45 als erstes die Einspritzpumpen ausgebaut und so nach und nach alle brauchbaren Dinge wie Triebwerke, Elektromotoren etc., abtransportiert. Auch die Amerikaner hatten bei diesen Angriffen Verluste. Von US-Sanitätern wurden Verwundeten geborgen. In Himmelgarten musste ein Bauer dazu seine Scheune ausräumen, in der ein Verbandsplatz eingerichtet wurde.“ (Archiv Friedrich Braun)

Friedrich Braun begann das Schicksal der Besatzung umfangreich zu recherchieren. Im Kriegstagebuch heißt es dazu unter dem 24. April 1945: „1 Ju 88 der IV./NJG 6 mit Besatzung Lt. Ludwig vermisst!“ Kock, W. (1996: 287). Flugzeugführer der bei Letten abgeschossenen Ju-88 war der 25-jährige Leutnant Herbert Ludwig, wel cher auch den Nachtjäger flog, der am 16. März 1945 über Fischbach abgeschossen wurde (siehe S. 113 ff.). In Folge der beim Absturz zugezogenen Verwundung konnte Leutnant Ludwig einige Wochen nicht mehr fliegen. Am 4. April 1945 wurde die II./NJG 101, die in Unterschlauersbach lag, aufgelöst. Die drei besten Besatzungen von der II./NJG 101, waren Ludwig mit 13, Rasper mit 11 und Dörscheln mit 8 Abschüssen. Diese drei Besatzungen wurden zur IV./NJG 6 (Kommandeur Hauptmann Martin Becker) nach Ingolstadt versetzt, alles übrige Personal des NJG 101 wurde den Erdkampfeinheiten zugeführt. Von Ingolstadt und Schleißheim aus flog die IV./NJG 6 im April ’45 noch Nachtschlachteinsätze auf US-Kolonnen und Bereitstellungen.

Doch zurück zur Klärung der Ereignisse vom 24. April 1945 in Letten. Erste Hinweise ergaben das Grab des Uffz. Erich Gränitz aus Burkhardtsdorf (Sachsen), welcher am 2. Mai 1945 auf dem Friedhof in Lauf beigesetzt wurde. Erich Gränitz ließ sich zweifelsfrei der Ju 88 in Letten zuordnen. Doch eine Ju-88 Besatzung bestand aus mindestens drei Fliegern und die Grabstätte der zwei anderen Besatzungsmitglieder war zunächst nicht auffindbar. Eine Nachsuche auf allen umliegenden Gemeindefriedhöfen blieb erfolglos. Die letzte Ruhestätte von Leutnant Ludwig fand sich schließlich auf dem Soldatenfriedhof Nagelberg bei Treuchtlingen. Herbert Ludwig aus Neustadt (Oberschlesien) wurde am 5. Mai 1945 in Schönberg beigesetzt und in den 1950er Jahren nach Treuchtlingen-Nagelberg umgebettet. Frau Ludwig, die Ehefrau des Flugzeugführers, berichtete Friedrich Braun den weiteren Sachverhalt. Die junge Frau hatte im Mai ’45 gerade zu dem Zeitpunkt, als ihr Mann beerdigt wurde, einem Sohn das Leben geschenkt. Am 30. Juli 1945 wurde ihr von einem Kameraden ihres Mannes schriftlich mitgeteilt, dass dieser am 25. April 1945 vom Einsatz nicht zurückkam. Im Juni 1946 erfuhr Frau Ludwig über das Rote Kreuz, dass ihr Mann bei Letten gefallen war. Warum sich Ludwig wohl in den letzten 158 Kriegstagen nach der Verwundung beim Fischbacher Absturz so schnell wieder zum Einsatz meldete?

Der Beerdigung von Leutnant Ludwig war ein tagelanges Gerangel vorausgegangen. Der evangelische Pfarrer von Schönberg hat sich damals geweigert, den vermeintlich katholischen Herbert Ludwig zu bestatten. Ludwig wurde schließlich von Pfarrer Karch, dem katholischen Geistlichen der Gemeinde St. Otto / Lauf, am 5. Mai 1945 in Schönberg beerdigt. Nach Aussage von Frau Ludwig war ihr Mann evangelisch. Wie nahe Leben und Tod im Krieg zusammenlagen, dafür steht der dritte Mann Feldwebel und Bordfunker Anton Dietrich der etatmäßig der Besatzung Ludwig angehört hätte. Dazu ein Auszug aus dem Brief von Anton Dietrich an Frau Ludwig vom 30. Juni 1945:

„Am 24.04. fuhr ich abends von Schleißheim (wo wir zuletzt lagen) nach Hause298, um meine Wäsche wegzubringen. Wir sollten an diesem Abend nicht mehr fliegen, weil wir uns zur Verlegung nach Bad Aibling vorbereiteten. Nun kam aber doch noch der Einsatzbefehl, einen Nachtschlachteinsatz zu fliegen. Herbert wurde dazu eingeteilt. An meiner Stelle musste ein anderer – Uffz. Werner Breuer – als Bordfunker in die Maschine einsteigen. Uffz. Erich Gränitz flog als Bordmechaniker mit. Als ich am nächsten Morgen zur Unterkunft kam, sagte man mir, dass Herbert nicht zurückgekehrt ist. Ich war wie erschlagen. In derselben Nacht flog Oblt. Dörscheln im selben Raum Nachtschlacht, wo auch Herbert geflogen war. Er sah vor sich eine Mords-Flak feuerwand und gleich darauf einen Aufschlagbrand, welcher nur von Herberts Maschine herrühren konnte, da sonst keine Maschine als vermisst gemeldet wurde.

(Archiv Friedrich Braun, Brief von Bordfunker Anton Dietrich an Frau Gertrud Ludwig nach dem Krieg)

Der dritte bis dahin noch unbekannte Flieger, der als Ersatz für Anton Dietrich die Maschine besteigen musste, hieß gemäß den Unterlagen von Frau Ludwig also Werner Breuer. Eine Schreibmaschinennotiz von Frau Ludwig gab an, dass Breuer am 2. Mai 1945 in Röthenbach a.d. Pegnitz bestattet wurde. Trotz intensiver Nachsuche in den einschlägigen kommunalen und kirchlichen Archiven konnte das Grab von Unteroffizier Werner Breuer bis heute nicht ausfindig gemacht werden. Den Nachforschungen von Friedrich Braun ist es zu verdanken, dass die Geschehnisse des Absturzes in Letten lückenlos dokumentiert werden können. Heute erinnert nicht mehr viel an den Absturz vor über 70 Jahren. Nur wenige Eingeweihte dürften noch wissen, dass die kleine wassergefüllte Senke im Waldstück südlich des Waldgasthofes keines natürlichen Ursprungs ist. Kleine Fragmente der Ju 88 finden sich an der Absturzstelle bis heute. Jedoch handelt es sich dabei nur um verformte Blechstücke von maximal 10 cm Größe. Aussagekräftige Bruchstücke der Maschine konnten nicht mehr gefunden werden.

Das Flugbuch von Bordfunker Anton Dietrich wurde 2018 bei einer Auktion versteigert. Vermerkt sind die Flüge im April 1945 der Besatzung Ludwig. Dietrich hat den Absturz der Maschine bei Letten nachgetragen, dabei allerdings ein falsches Datum notiert.
Herbert Ludwig, im Bild
noch Oberfähnrich.
Das Grab von Ludwig in Schönberg. Der Beerdigung des vermeintlich katholischen Toten ging ein tagelanges Gerangel voraus. Ludwig wurde 25 Jahre alt und hinterließ Frau und Sohn.
Bordmechaniker Unteroffizier
Erich Gränitz.
Das Grab von Erich Gränitz im Ehrenhain der Stadt Lauf. Weshalb die Besatzung nicht gemeinsam beigesetzt wurde, ließ sich nicht aufklären.
Diese von den Ame rikanern verlassen vorgefundene Ju 88 G-6 wurde für Einsätze gegen Bodenziele umgebaut. Dazu wurde das Radar entfernt und Halterungen für Bomben angebracht. Im Vordergrund liegt eine AB 500 Streubombeneinheit. Eine so modifizierte Maschine dürfte auch die Besatzung Ludwig geflogen haben.
Das “Fliegerloch” im Waldstück südlich des Waldgasthofs Letten.

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Die tragischen letzten Wochen der Nachtjägerbesatzung Leutnant Ludwig: Absturz über dem Reichsparteitagsgelände

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