Nur wenige originale Zeugnisse erinnern an das, was sich im Bereich der Siedlung am östlichen Ortsausgang von Hersbruck vor über 75 Jahren ereignet hat. Auf der Suche nach geeigneten Standorten für unterirdische Rüstungsproduktionsanlagen geriet die bei Happurg gelegene „Houbirg“ im dritten Kriegsjahr in das Blickfeld des Reichskriegsministeriums. Geologische Untersuchungen ergaben, dass eine Sandsteinschicht (Dogger genannt) sich besonders für den schnellen Bau einer unterirdischen Produktionsanlage für BMW-Flugzeugmotoren eignen würde. Für den Bau der Stollen wurde in der näheren Umgebung nach einem geeigneten Gelände für ein KZ-Außenlager gesucht.
Die Wahl fiel auf eine verlassene Reichsarbeitsdienstkaserne, welche im Frühjahr 1944 zur Kommandantur des SS-Wachsturmbanns umfunktioniert wurde. Auf den umliegenden Pegnitzwiesen begann der Ausbau des Geländes zum größten KZ-Außenlager des KZ-Flossenbürg. Im April 1944 trafen die ersten Häftlinge in Hersbruck ein und mit Hochdruck begannen die Bauarbeiten an und in der Houbirg unter dem Tarnnamen „Doggerwerk“. In den folgenden Monaten waren fast 10.000 Häftlinge aus über 23 Nationen am Bau der Stollen beteiligt. Das Projekt wurde bis Kriegsende nicht mehr fertiggestellt, zu einer Produktion von Flugzeugmotoren kam es in der Houbirg nie.
Nachdem die Amerikaner Hersbruck im April 1945 besetzt hatten, wurde das Gelände des Konzentrationslagers vorrübergehend als Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten weiterbetrieben. Zu den wohl bekanntesten Insassen gehörte dem Hörensagen nach Panzergeneral Heinz Guderian. Bald darauf fand das Areal Verwendung als Internierungslager für ehemalige Funktionäre der NSDAP. Nach der Auflösung wurden die noch stehenden Barracken durch sogenannte „Displaced Persons“ bezogen.
Die noch stehenden Gebäudereste wurden 1951 abgebrochen und eine Wohnsiedlung sowie ein Sportplatz gebaut. Lediglich die ehemalige Reichsarbeitsdienstkaserne (und spätere SS-Kommandantur) blieb erhalten und musste erst 2007 dem neuen Finanzamt weichen, über dessen „Schönheit“ sich gewiss streiten lässt. Summa summarum gibt es heute faktisch keine sichtbaren baulichen Elemente des ehemaligen Lagergeländes mehr. Umso mehr verwundert es, dass Seitens der Behörden offenbar kein Interesse besteht, eventuelle Baumaßnahmen wissenschaftlich zu begleiten.
Für ein großes Bauprojekt musste im Herbst 2022 der ehemalige Tennisplatz weichen und wurde schrittweise abgetragen. Vergleicht man alte Luftaufnahmen, erkennt man bald, dass sich auf der Fläche des Tennisplatzes damals ein Teil des Appellplatzes und der Lagerküche befand. Des Weiteren belegen Luftaufnahmen, dass außer dem Bau des Tennisplatzes seit den 1950er Jahren keine bauliche Maßnahme auf der Fläche stattgefunden hat. Man muss nicht Geschichte studiert haben, um auf den Gedanken zu kommen, dass eine Baumaßnahme auf einer solchen Fläche sehr wahrscheinlich entsprechende Fundstücke zutage fördern dürfte. Leider wurde es von staatlicher Seite versäumt, eine entsprechende Untersuchung anzuordnen.
Mehrmals habe ich im Vorbeifahren das Voranschreiten der Abrissarbeiten beobachten können. Im Dezember 2022 waren diese Arbeiten schließlich abgeschlossen und das Gelände geräumt sowie frei zugänglich (es war kein Zaun vorhanden und auch kein Schild untersagte den Zutritt). Aus Interesse, ob wohl bauliche Fundamente der Lagergebäude freigelegt wurden, besichtigte ich das Areal. Und tatsächlich: Es fand sich eine Vielzahl von oberflächlich herumliegenden Artefakten. Neben roten Ziegeln, welche vermutlich als Fundament des Küchengebäudes fungierten, waren Reste des damaligen Abwassersystems ersichtlich sowie zahlreiche Scherben des Porzellangeschirrs der SS-Wachmannschaft (manche Tellerscherben waren mit „SS-Reich“ gekennzeichnet). Zwischen dem Schotter und Schlamm fanden sich aber auch kleinere Relikte wie etwa Knöpfe, z.B. der Knopf einer deutschen Marineuniform. Der wohl aufschlussreichste Fund war mir zunächst nicht als solcher erkennbar. Eine kleine dreieckige Aluminiumplatte fiel mir durch ihre bloße Form auf. Ich steckte sie ein und reinigte sie zuhause.
Reste roter Farbe waren erkennbar, ebenso wie kleine Befestigungslöcher und die eingestanzte Nummer 52246. Zwar erschloss sich mir, dass es sich dabei wohl um eine Art Identifikationsplakette handelt, jedoch konnte ich diese nicht zeitlich zuordnen. Ähnliche Marken werden auch in der Viehhaltung als Ohrmarken eingesetzt. Erst durch eine Internetrecherche wurde ersichtlich, dass es sich hier offenbar um die Marke eines KZ-Häftlings handelte. In einem älteren Zeitungsartikel zeigte ein Zeitzeuge eine in der Machart gleiche Marke in die Kamera.
Nach dieser Erkenntnis meldete ich den Fund umgehend dem zuständigen Denkmalamt, dessen Mitarbeiter sich auch sehr für die Angelegenheit interessierten und die Fundmeldung entgegennahmen. Des Weiteren nahm ich Kontakt mit dem örtlichen KZ-Erinnerungsverein auf, auch dort freute man sich über die Fundmeldung. Ein Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg half mir schließlich die Identität des Häftlings aufzuschlüsseln.
Aus der Auskunft zitiert: „Die Nummer trug ein russischer Häftling, der im September 1943 nach Dachau eingewiesen wurde und am 25. August 1944 vom Dachauer Außenlager Allach nach Hersbruck überstellt wurde. Bei der Überstellung kam es – wie sehr häufig bei osteuropäischen Häftlingen – zur fehlerhaften Übertragung der persönlichen Angaben. So gibt es nun auf dem Papier zwei Häftlinge, einen Dachauer und einen Flossenbürger, die aber ein und dieselbe Person sind. Wir werden die Daten entsprechend korrigieren.“
Dachau Andre Swiridenko (14.06.1916 Nebrat)
Flossenbürg Andrej Swindeko (14.09.1916)
Nebrat ist eine kleine Ortschaft nahe Kiew, der Häftling dürfte also Ukrainer gewesen sein. Meiner Vermutung nach dürfte er entweder als Soldat der Roten Armee und damit später als Kriegsgefangener in ein Konzentrationslager gekommen sein, oder er wurde aufgrund von Partisanentätigkeit inhaftiert und als politischer Gefangener nach Deutschland verbracht. Es ließ sich mir nicht ermitteln, ob er seinen Aufenthalt in Hersbruck überlebt hat. Hat er die Marke verloren? Bei Kriegsende weggeworfen? Oder ist er verstorben und die Marke befand sich noch an seiner Kleidung?
Gerne würde ich die Marke eventuell noch lebenden Angehörigen – nach Rücksprache mit dem zuständigen Denkmalamt – übergeben. Leider ist es aufgrund der gegenwärtigen Lage in der Ukraine nur erschwert möglich, derartige Nachforschungen durchzuführen. Über Hilfe und Hinweise aus der Leserschaft würde ich mich freuen.
Adrian Matthes, Erlangen, März 2023
Häftlingsnummer „52246“
Sehr gut!!! und??? gibt es schon etwas neues?????
Aktuell laufen auf der Baustelle Ausgrabungen. Hier findet sich ein Zeitungsartikel dazu:
https://n-land.de/top-story/eine-spurensuche-an-einer-sensiblen-stelle
Nachtrag folgt!