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Ehrenpokal eines Hilfskreuzerfahrers

Im Zuge der Recherche zu meinem Erlebnisbericht „Von der Bekennenden Kirche zum Hilfskreuzermatrosen auf den Weltmeeren“ habe ich mich intensiver mit den Feindfahrten dieser „Handelsstörer“ beschäftigt. Ein spannendes Kapitel Seefahrtsgeschichte, welches nach meiner Auffassung in der Geschichtsbetrachtung der Kriegsmarine keine ausreichende Würdigung erhält.

Die geräumigen Schiffsrümpfe, der eigentlich zum Transport von Waren und Güter ausgelegten Seefahrzeuge, boten bei Umrüstung zu Kriegsschiffen den erforderlichen Platz für bordeigenen Wasserflugzeuge. Diese wurden nicht wie etwa bei den Schlachtschiffen Bismarck oder Tirpitz mittels Katapult gestartet, sondern mit einem Kran ausgesetzt und eingeholt. Die Piloten dieser Wasserflugzeuge waren zumeist Marineangehörige und dienten zuvor in den Küstenfliegergruppen oder dem Seenotdienst. Obwohl sie der Kriegsmarine unterstanden, qualifizierten sie sich im Einsatz für den Erwerb von Auszeichnungen der Luftwaffe, was es erklärt, weshalb es auch mit dem „Ehrenpokal“ beliehene Angehörige der Kriegsmarine gab.

Eine Arado 196 im Laderaum des Hilfskreuzers “Kormoran”

Bei meinen Recherchen zu den Hilfskreuzern der Kriegsmarine gelangte ich in den Besitz eines Luftwaffen Ehrenpokals, welche eindrucksvolles Zeugnis eines außergewöhnlichen Werdegangs ist. Der von mir in den wesentlichen Eckdaten zusammengetragene Werdegang des Oberleutnant zur See Richard von Bulla:

Hellmuth-Richard von Bulla, am 22.5.1915 in Kasimir (Oberschlesien) geboren, meldete sich zur Kriegsmarine und schlug die Laufbahn eines Flugzeugführers in den Seefliegerverbänden ein. Er absolvierte die Flugschule für Wasserflugzeuge und wurde nach dem Besuch der Offizierschule (Crew 1935) am 18. Januar 1940 zum Leutnant zur See befördert und der 5./Bordflieger Gruppe 196 zugeteilt. Als Flugzeugführer einer Heinkel He 114 wurde er gemeinsam mit Beobachter Oberfeldwebel Borchert auf dem Hilfskreuzer Atlantis „Schiff 16“ stationiert.

Unter falscher Flagge fahrend sollte das umgebaute und mit schweren Geschützen ausgerüstete Handelsschiff die britischen Schifffahrtsrouten im Indischen Ozean stören. Zwei im Schiffsrumpf mitgeführte Heinkel-Wasserflugzeuge dienten der Aufklärung möglicher Ziele im Nahbereich. Die „Atlantis“ stach im März 1940 von Wilhelmshaven aus als erster deutscher Hilfskreuzer in See und erreichte als sowjetischer Frachter getarnt unbehelligt den Atlantik. Im Operationsraum Südwestafrika konnte bereits im Mai 1940 ein britischer Frachter versenkt werden. Der Angriff des Wasserflugzeuges spielte dabei eine wesentliche Rolle:

“On January 23, Bulla’s plane spotted a new target 60 miles north. Atlantis steamed after it. At nightfall, Rogge set course to intercept and found nothing. At dawn, he shot off Bulla’s seaplane again. Ten minutes later, the Briton was located 25 miles to the north. Bulla, armed with 110-pound bombs and a grappling hook to rip out the ship’s radio antenna, swooped in. He ripped the aerial from its mountings, then dropped his bombs and scored two direct hits.”

Von Bulla flog mit der Heinkel 114 regelmäßig Aufklärungsflüge, wobei es am 30. Mai 1940 zu einer Bruchlandung kam, welche den Bruch der Motoraufhängung zur Folge hatte. Der Schaden konnte mit Bordmitteln nicht behoben werden und die Maschine diente nunmehr der anderen mitgeführten Heinkel als Ersatzteilspender. Am 11. Mai 1940 wurde von Bulla zum Oberleutnant zur See befördert. In der Zeit von Juni bis November 1940 gelang es der „Atlantis“ neun Schiffe zu versenken sowie drei weitere Schiffe als Prise aufzubringen. Diese wurden je mit Beute und Gefangenen beladen nach Japan, Frankreich und Italienisch-Somaliland entsendet.

Am 19. Oktober 1940 brach auch bei der zweiten Heinkel die Motoraufhängung und als bei einer Landung am 24. Januar 1941 der Schwimmer leck schlug und das Flugzeug kenterte, wurde es aufgegeben und durch Beschuss versenkt. Die „Atlantis“ war nun ohne Bordflugzeug, was erst eine Lieferung des Versorgers „Alsterufer“ im April 1941 änderte. Drei in Kisten verpackte Arado 196 Wasserflugzeuge wurden auf die „Atlantis“ übernommen und dienten fortan der Besatzung von Bulla als Bordflugzeuge. Es folgten weitere Versenkungen und gar ein Abstecher in den Pazifik.

Nach einigen Wochen Aufenthalt zwischen verschiedenen Südseeinseln kehrte die „Atlantis“ im Oktober 1941 in den Atlantik zurück. Dort wurde sie am 22. November 1941 von einem britischen Kreuzer gestellt und so schwer beschädigt, dass sie sich selbstversenken musste. Die überlebende Besatzung konnte sich auf das U-Boot U 126 retten und wurde an einen Versorger übergeben. Als auch dieser versenkt wurde konnten sich die verbliebenen Besatzungsmitglieder auf verschiedene U-Boote verteilt nach Frankreich retten, wo sie bis zum Dezember 1941 eintrafen. Der Hilfskreuzer „Atlantis“ hat mit 622 Tagen und 102.000 Seemeilen sowie 22 versenkten gegnerischen Schiffen die längste ununterbrochene Feindfahrt in der Geschichte der Seefahrt bewältigt.

Von Bulla wurde am 1. April 1942 zum Kapitänleutnant befördert. Am 15. Juni 1942 wurde ihm neben anderen Auszeichnungen der Luftwaffen Ehrenpokal verliehen (er wird dort als Hauptmann gelistet), wohl für seinen maßgeblichen Beitrag seiner waghalsigen Aufklärungsflüge zu den Versenkungserfolgen der „Atlantis“. Nach einem Besuch der Marine-Artillerieschule wurde von Bulla im Januar 1943 als Artillerie Offizier auf den Zerstörer Z-28 versetzt. Z-28 verlegte im März 1943 nach Nordnorwegen und nahm mit den Schlachtschiffen „Tirpitz“ und „Scharnhorst“ an verschiedenen Übungen im Nordmeer teil. Bei einem Luftangriff auf Trondheim wurde das im Hafen liegende Schiff jedoch so schwer beschädigt, dass ein Rückmarsch zur Werft nach Deutschland notwendig wurde. Z-28 erreichte Wesermünde im August 1943 und trat eine mehrmonatige Werftliegezeit an.

Von Bulla wurde als Wachoffizier auf den Zerstörer Z-10 „Hans Lody“ kommandiert. Dieser nahm im September 1943 an der Einschiffung eines Grenadier Regiments nach Alta (Nordnorwegen) teil. Im Herbst und Winter 1943 folgten einige Minen- und Geleitunternehmen. Im Juli 1944 übernahm von Bulla das Kommando über den Zerstörer und befehligte die Besatzung bis zum November 1944. Die meiste Zeit lag das Schiff jedoch in der Werft und der Dienstalltag dürfte sich auf die Ausbildung beschränkt haben.

Von Bulla wechselte zur U-Bootwaffe und wurde 1. WO auf U 234. Dieses Boot des neuartigen Typ X B war als Minenleger konzipiert worden. Für diesen Zweck wurden die Boote aber inzwischen nicht mehr benötigt und statt Minen wurden Versorgungsgüter transportiert. Als sich die deutsche Niederlage abzeichnete, stimmte Hitler der japanischen Bitte nach spaltbarem Material zum Bau einer Nuklearwaffe zu. Kriegswichtige Güter konnten im Frühjahr 1945 nur noch auf dem Seeweg in einem U-Boot nach Japan verbracht werden. Nachdem bereits andere Transportunternehmen gescheitert waren, wurde U 234 mit 560 Kilogramm Uranoxid beladen. Neben verschiedensten Forschungsunterlagen wurden auch die wesentlichen Bauelemente der Düsen- und Raketentriebwerke der Me 262 und Me 163 in die Minenschächte des U-Boots verladen sowie auf Mikrofilm die gesamte deutsche Radarforschung.

Neben der U-Boot Besatzung waren auch einige zivile Passagiere im Rumpf eingepfercht. Vertreter der Firma Messerschmitt, zwei japanische Ingenieure, die in Deutschland eingewiesen worden waren, und ein Radarfachmann. Besatzung und Passagiere sollten in Japan verbleiben und von Bulla hätte dort als Navigator und Beobachter in der japanischen Marine dienen sollen.

Am 10. Mai 1945 erfuhr die Besatzung auf See von der Kapitulation der Wehrmacht. Die Passagiere drängten darauf die Fahrt nach Argentinien fortzusetzen, Kapitän Fehler entschied in Gefangenschaft zu gehen. Die Japaner begingen daraufhin Selbstmord und wurden auf See mit ihren Geheimdokumenten bestattet. Eigentlich hätte U 234 Kanada anlaufen sollen, die USA waren aber über die Fracht informiert, störten die Funkverkehr und leiteten das Boot auf eine Neufundland vorgelagerte Insel. Das Uranoxid wurde umgehend nach Washington verbracht und konnte in 500 Gramm waffenfähiges Uran umgewandelt werden. Es ist denkbar, dass ein Teil dieses Materials in der Atombombe von Hiroshima verwendet wurde.

Von Bulla geriet mit der gesamten Besatzung in amerikanische Kriegsgefangenschaft, U 234 wurde 1947 im Rahmen von Torpedotests bei Cape Cod versenkt.

Oberleutnant zur See von Bulla hat mindestens folgende Auszeichnungen erhalten: Eisernes Kreuz I. und II. Klasse; Frontflugspange für Aufklärer, Flugzeugführerabzeichen, Beobachterabzeichen, Ehrenpokal der Luftwaffe; Zerstörerkampfabzeichen; Minensuchabzeichen, Hilfskreuzerabzeichen.

…mit entsprechender Literatur- und Archivrecherche könnte man die Einzelheiten wohl noch deutlich detallierter wiedergeben. Insbesondere die Kriegstagebücher der Atlantis will ich einmal durcharbeiten, seine Flugabenteuer lassen sich sicher noch besser zusammentragen. Gerne freue ich mich über Hinweise und Ergänzungen jeglicher Art!

Adrian Matthes, Erlangen, März 2024

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