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Die Ju 88, und einer der letzten der sie geflogen ist.

Beim Ausräumen meines Kinderzimmers fiel mir dieses Modell einer Junker 88 in die Hände, etwas lädiert und in Sachen Modellbau sicher keine Glanzleistung. Ich habe es als 13jähriger zusammgenbaut und es hing viele Jahre an der Deckenlampe meines Zimmers. Oft habe ich es mir angesehen und mich gefragt, wie das denn damals wirklich alles so gewesen ist in so einem Flugzeug. Ich hätte es wohl nicht für möglich gehalten 2025, 80 Jahre nach Kriegsende einmal jemanden kennenzulernen, gar meinen Freund nennen zu dürfen, der mir alle diese Fragen beantworten kann.

Nun da ich gestern meine letzte Prüfung geschrieben und Semesterferien habe, bin ich gleich heute wieder zu Herrn Planck gefahren, ein ehemaliger Oberleutnant der Fliegertruppe und wohl der letzte Fernaufklärer des Zweiten Weltkrieges. Bei meinem Eintreten saß er am Schreibtisch und blätterte in unserem Buch. Mir wurde schon berichtet, dass er es jeden Tag rauf und runter liest und lange auf die Fotos blickt.

Als ich das Modell aus meinem Rucksack geholt habe hat er es gleich ganz aufgeregt in die Hand genommen und lange betrachtet. Er muss sich nicht vorstellen, was sich damals in einem solchen Kampfflugzeug abgespielt hat, er ist es selbst unzählige Stunden geflogen. Mit inzwischen 103 Jahren dürfte er einer der letzten Luftwaffen-Piloten sein, die auf eine beachtliche fliegerische Karriere blicken können. In der Kanzel einer Ju 88 hat sich für ihn viele Male entschieden, ob sein Name heute auf einem verwitterten Kriegerdenkmal steht oder ob er über ein Leben nach dem Krieg nachdenken durfte.

Heute ist er Ur Großvater, darf auf ein Berufsleben als Professor zurückblicken und seine Bücher über Agrarsoziologe gelten noch bis heute als Standardwerke. In seinen Ordnern finden sich reihenweiße Belobigungen und gute Zeugnisse. Dazwischen verstecken sich aus längst vergangener Zeit die Urkunden für das Eiserne Kreuz, die Frontflugspange in Gold und den Ehrenpokal der Luftwaffe. Die fünf Jahre Krieg haben sein Jahrhundertleben geprägt wie kaum ein anderer Lebensabschnitt. Nein, als „Kriegsheld“ hat er sich nie gesehen, sagt er. Vielmehr ist er stolz darauf seine Besatzung, keiner älter als 19, immer unbeschadet heimgebracht zu haben. Sie waren eine gut eingespielte Kampfgemeinschaft. Auch bei schwerstem Flakfeuer über Murmansk und gefährlichen Tiefflugmanövern an der schottischen Küste hat sein Beobachter neben ihm ruhig und unbeirrt den Kurs berechnet. Hinter ihm saß mit wachsamen Blick der Bordfunker, den Griff des Maschinengewehrs fest umklammert.

Viel Glück haben wir gehabt, erinnert er sich, oft haben haben die Mechaniker nach der Landung die Einschusslöcher in den Tragflächen gezählt. Ob er einmal Angst gehabt hat habe ich heute gefragt. Nein, für Angst war kein Platz auf einem Feindflug in 4000 Metern Höhe. Im Krieg hat man nur im Hier und Jetzt gelebt und nicht an den nächsten Tag gedacht. Viele seiner damaligen Staffelkameraden haben ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt. Herr Planck kann sich gut zurückerinnern an die jungen Männer, wie sie frohen Mutes in ihren gelben Schwimmwesten, mit den Fliegermützen unter dem Arm in ihre Maschinen kletterten. Keiner hat seine Furcht gezeigt, jeder hat gehofft, dass es ihn nicht erwischen würde. Sie starteten von Kirkenes, dem Einsatzhafen ganz im Norden Norwegens und flogen hinaus über das Eismeer in Richtung Spitzbergen, wurden als schwarzer Punkt am Horizont immer kleiner. Für viele war es ein Flug bei dem es keine Wiederkehr gab. Verschwunden über den Weiten des Ozeans, aber nicht aus dem Gedächtnis von Herrn Planck. Als Oberleutnant hatte er oft die schmerzliche Aufgabe den Lieben in der Heimat zu schreiben: „Ihr Sohn/Ehemann….vom Feindflug nicht zurückgekehrt“.

Für mich, der immerhin so alt ist wie er damals klingt das schwer greifbar. Die Instrumente ablesen, Befehle an die Besatzung geben, das Steuer führen, dem Flakbeschuss ausweichen und dazu noch eine innere Ruhe ausstrahlen und den anderen ein Vorbild sein. Wer wird diese Realität des Luftkrieges noch kennen, wenn die Generation von Herrn Planck bald ganz verschwunden ist?

Eigentlich wollte ich das Modell nur für ein schönes Foto mitnehmen. Während unseres zweistündigen Gespräches heute Nachmittag hielt er die Ju 88 in der Hand und als ich dann gehen wollte blickte er sie immer noch mit leuchtenden Augen an, bewegte seine Hand, ganz als wolle er die damaligen Manöver nachstellen. Ich habe sie ihm kurzerhand geschenkt, da sie bei ihm wohl besser aufgehoben ist und es im hohen Lebensalter oft die kleinen Dinge sind, die nochmal eine Freude machen. Ganz gewiss sitzt er auch gerade in diesem Moment mit dem Modell in der Hand in seinem Sessel und erinnert sich zurück an Situationen, die sich wohl niemand vorstellen kann, der gerade diesen Beitrag liest.

In den vergangenen Monaten haben wir uns viel Arbeit gemacht, die Erinnerungen von Herrn Planck so präzise wie möglich auf über 400 Seiten aufzuschreiben, damit solche Geschichten auch für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Wer sich für Herrn Planck bzw. das Buch über sein Leben interessiert findet es hier:

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