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Die Suche nach Hans Ju-88

In vielen langen Interviewstunden habe ich im Sommer 2021 mit dem ehemaligen Bordfunker Hans Schneider dessen militärischen Werdegang dokumentieren dürfen. Unsere Gespräche drehten sich insbesondere um seine Kampfeinsätze über dem Mittelmeerraum. Herr Schneider hatte ein gutes Gedächtnis und konnte sich auch an kleinste Details einzelner Ereignisse erinnern. Er wusste amüsante Anekdoten zu berichten, blendete aber nie die Ernsthaftigkeit der damaligen Geschehnisse aus. Leider fehlte es oft an einer zeitlichen Zuordnung und um seine Erzählungen in einer chronologische Reihenfolge zu ordnen, gingen wir gemeinsam die Einträge seiner Geschwaderchronik durch.

In eben dieser Chronik waren nahezu sämtliche Einsätze seiner Staffel gelistet. Begleitschutzflüge für Geleitzüge nach Afrika, die Suche nach feindlichen U-Booten, Angriffe auf englische Kriegsschiffe, aber eben auf die Suchflüge nach vermissten Kameraden. Innerhalb seiner Einheit fürchtete man das Schicksal über See abzustürzen, nicht gerettet zu werden und auf offener See qualvoll zu verdursten. Auf eigens angelegten Rettungsflügen versuchte man Schlauchboote oder Rettungswesten notgelandeter Flieger ausfindig zu machen. Oft die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.

Eine Junkers Ju-88 des Lehrgeschwaders 1
Die Besatzung Hans Schneider im Sommer 1942

Beiläufig erwähnte Herr Schneider im Gespräch, dass ihn selbst dieses Schicksal fast einmal ereilt hätte. Eine Begebenheit die wir bis dahin noch nicht für sein Buch dokumentiert hatten. Seinen Abschuss über Afrika 1942 und der damit den Weg in englische Gefangenschaft hatten wir mehrmals durchgesprochen und in allen Einzelheiten dokumentiert. Aber ein weiterer Absturz? – war bis dahin unerwähnt geblieben. Es gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen, die einen Flugzeugabsturz auf offener See erleben, oder besser gesagt überleben und später einmal in einer solchen Gelassenheit davon berichten. Herr Schneiders Erzählungen sind auszugsweise als Leseprobe aus dem Buch wiedergegeben.

„Wieder einmal sollten wir einen Dampfer als Sicherung begleiten und machten uns gegen Mittag zum Start bereit. Wir kletterten in unsere aufgetankte Maschine und starteten in nördlicher Richtung auf das Meer hinaus. Im langsamen Steigflug kletterten wir auf einige hundert Meter Flughöhe. Als wir bereits zehn Flugminuten vom Platz entfernt waren, begann einer der Motoren zu stottern. Es klapperte und krachte und mit einem Mal stand der Motor und der Propeller stoppte mit einem Ruck. Wir hatten einen Kolbenfresser! Da wir uns noch im Steigflug befanden, hatten wir kaum Geschwindigkeit aufgenommen und der Bomber wurde spürbar langsamer. Uns war allen klar, in welch misslicher Lage wir uns befanden. Der Flugzeugführer betätigte den Notzug für die Bombenfracht. Wir machten einen Hopser nach oben, als die Bomben nach unten rauschten. Der Notzug verhinderte das Zünden der Bomben, sie fielen ins Meer, ohne zu detonieren. Der andere Motor lief währenddessen ohne Probleme weiter, aber der in der Luft stehende Propeller des kaputten Motors bremste uns weiter aus. Der Pilot drückte die Nase der Maschine nach unten und begann, eine weit gezogene Kurve Richtung Küste zu fliegen. Ich sendete mehrere SOS-Notrufe in den Äther hinaus. Hoffentlich waren andere Flugzeuge in der Nähe, die unsere missliche Lage an die Bodenleitstelle weiter übermittelten. Bloß nicht über dem Meer abstürzen und dann nicht gefunden werden. Im Sinkflug ging es wieder Richtung Kreta. Die Küste war schon in Sichtweite, aber wir verloren immer mehr an Höhe. Für uns wurde bald klar, dass wir es nicht mehr bis zum Land schaffen würden. Die Schwimmwesten wurden fester geschnallt und wir machten uns bereit für eine Notwasserung. Die Notentriegelung für die Kanzel wurde betätigt. Mit einem Ruck flog die Plexiglaskanzel über meinem Kopf fort. Alle waren bereit dazu, sofort nach dem Aufschlag das Flugzeug verlassen zu können. Wir waren nur noch fünf oder zehn Meter über der Wasseroberfläche, da zog der Pilot mit einem Ruck die Maschine steil nach oben. Das war wichtig, damit wir mit dem Heck als erstes aufkamen. Wären wir mit der Nase voran eingetaucht, hätten uns die schweren Motoren sofort nach unten gezogen.

Alles funktionierte so, wie wir es für diesen Notfall gelernt hatten. Mit einem Ruckeln und Schwanken setzten wir sauber auf der Wasseroberfläche auf. Das Flugzeug glitt noch einige Meter dahin, dann war alles still. Nur das gluckernde Geräusch des Wassers, welches in den Flugzeugrumpf eindrang, war zu vernehmen. Ich blickte nach unten und sah bereits Wasser um meine Füße herum. Der Pilot fragte, ob alle in Ordnung wären. Wir bejahten, nur der Bordschütze Pfannhuber hatte leichte Blessuren am Knöchel. Wir schnallten uns ab und kletterten aus dem Cockpit auf die Tragfläche. Der Rumpf war bereits bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt, aber in den Tragflächen war noch Luft und die Ju schwamm auf dem Meer. Wir besprachen, was wir tun sollten. Wir wussten nicht, ob man unseren SOS-Funkspruch wahrgenommen hatte. Das Flugzeug würde bald versinken und wie sollte man uns dann auf dem Meer finden? Die Küste war in Sichtweite, wobei es immer schwer ist, Distanzen auf dem Meer korrekt abzuschätzen. Jeder trug eine Schwimmweste und wir beschlossen, zum Ufer zu schwimmen. Von der Tragfläche ließ ich mich in voller Fliegermontur in das Wasser gleiten, was kein schönes Gefühl war. Dicht nebeneinander schwammen wir los. Aus sicherer Entfernung konnten wir das Ende unseres Bombers beobachten. Zuerst tauchte das Cockpit unter. Wegen der Motoren lag der Schwerpunkt sehr weit vorne. Langsam begann sich das ganze Flugzeug immer weiter senkrecht aufzurichten. Am Ende ragte nur noch das Heck steil aus dem Wasser, bis schließlich gar nichts mehr, bis auf eine Ölschicht und ein paar Trümmer, zu sehen war. Das Wrack wird heute noch auf dem Meeresgrund ruhen.

Für uns begann nun der kräftezehrende Weg an das Ufer, welches am Ende doch weiter weg war, als wir zunächst dachten. Über zwei Stunden hatten wir gebraucht, bis wir endlich wieder Boden unter den Füßen hatten. Missmutig krochen wir aus dem Wasser und probierten, unsere Fliegerbekleidung etwas auszuwringen. Es dauerte nicht lange, da kamen einige Griechen herbeigeeilt. Man hatte unseren Absturz wohl von Land aus beobachtet. Wir konnten uns nicht verständigen, aber diese Zivilisten begrüßten uns sehr freundlich. Gemeinsam gingen wir mit ihnen in ihr Dorf. Wir bekamen etwas zu essen und wir konnten uns ausruhen. Man gab uns zu verstehen, dass man andere deutsche Soldaten über unseren Aufenthaltsort informiert hatte. Wir blieben über Nacht bei diesen gastfreundlichen Dorfbewohnern und am nächsten Tag kam ein Kübelwagen, der uns abholte. Unser Flugzeugführer musste einen Bericht schreiben über den Vorfall und damit war die Sache erledigt. Die Verletzungen unseres Bordschützen Pfannhuber stellten sich aber doch als schwerwiegender als zunächst gedacht heraus und er musste in ein Lazarett gebracht werden. Nach seiner Genesung bekam er einige Zeit Heimaturlaub und unserer Besatzung wurde ein neuer Bordschütze zugeteilt. Was aus meinem Kameraden Pfannhuber geworden ist, kann ich leider nicht sagen. Ich habe ihn nie wiedergesehen und man konnte auch sonst nichts über ihn in Erfahrung bringen. Hoffentlich hat er den Krieg auch überlebt!“

Das Schicksal des Flugzeuges hatte mich damals schon sehr interessiert. War es geborgen worden? Herr Schneider zuckte nur mit den Schultern: „Liegt wahrscheinlich heute noch dort. Die Luftwaffe hat es sicher nicht mehr rausgefischt…“.

Bei meinem nächsten Besuch brachte ich eine Karte mit und bat ihn die Absturzstelle einzugrenzen. Dies gelang jedoch nur vage. Auch das genaue Datum ließ sich nicht ermitteln, nur auf zwei Wochen eingrenzen.

Über Facebook gelang es mir Kontakt zu knüpfen zu einigen griechischen Geschichtsenthusiasten, welche sich darum bemühten Wracks von Flugzeugen und Schiffen in griechischen Gewässern zu dokumentieren. Sie zeigten sich sehr interessiert an der Sache, da ihnen bisher keine Informationen zu diesem Unfall vorlagen. Nach einer Befragung älterer Kreter ergab sich, dass die Maschine von Herrn Schneider nahe von „Cape Stavros“ notwasserte. Zu den hilfsbereiten Kretern, welcher der Besatzung an Land halfen gehörte ein orthodoxer Priester namens Nikolaos Andrea Stamatakis.

Über die Bergung einer Ju-88 im Bereich Cape Stavros liegen keine Informationen vor. Gemäß aktueller Seekarten ist dort eine Wassertiefe von teils 150 Metern anzunehmen. Es ist also als sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass die Maschine von Herrn Schneider noch heute auf dem Meeresgrund ruht.

In den vergangenen Jahren haben griechischen Behörden und Suchteams damit begonnen die Seegebiete um Kreta gezielt nach unentdeckten Wracks abzusuchen. Auch eine Suche im Bereich Cape Stavros ist angedacht. Gerne hätte ich Herrn Schneider noch vom Fund seiner Maschine berichtet und ihm ein Sonarbild präsentiert. Leider verstarb Herr Schneider inzwischen im stolzen Alter von 101 Jahren.

Hans Schneider und Adrian Matthes
Hans Schneider in Tropenuniform, Juli 1942

Der Bericht wird aktualisiert, sobald es neue Erkenntnisse gibt. Bis dahin empfehlen wir unser Buch „Im Sturzflug auf Alexandria“ über den Werdegang von Hans Schneider.

Adrian Matthes, Erlangen, März 2023

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