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Auf den Spuren der „Meereskämpfer“

Bald drei Jahre ist die Veröffentlichung des Buches „Von den Meereskämpfern“ nun her. Der Kampfschwimmer Walter Lewandowski schilderte dort umfangreich seine Ausbildung zum Einzelkämpfer und seine wagemutigen Einsätze an Ost- und Westfront. Sein Buch begeisterte die Fachwelt und auf Vorträgen erzählte er interessierten jungen Menschen aus seinem Leben.

Am 30. Januar 2021 erreichte mich überraschend die traurige Nachricht von Walters Tod. Bis zu seinem Lebensende war er in guter physischer und psychischer Verfassung. Oft dachte ich seither an die kurze, aber doch sehr verbindende einjährige Freundschaft zurück. Das Interesse für die Geschichte seines Spezialkommandos ließ mich nicht mehr los. Auch persönlich wollte ich versuchen seine Erlebnisse bestmöglich nachzuvollziehen. Für eine Italien-Urlaubsreise im September 2022 wurden Aufenthalte in Valdagno und Venedig eingeplant, den ehemaligen Ausbildungsstandorten des „Lehrkommandos 700“.

Die Kleinstadt Valdagno machte auf uns einen verschlafenen Eindruck. Offenbar nur selten verirren sich Touristen dorthin, obwohl das Tal von Verona oder Vicenza aus mit dem Auto in einer halben Stunde Fahrtzeit zu erreichen ist. Eine kurze Internetrecherche hatte ergeben, dass die Schwimmhalle in Valdagno noch heute in Betrieb ist. Vor Ort eingetroffen, stellte sich schnell heraus, dass das Gebäude in seiner historischen Bausubstanz nahezu vollständig erhalten geblieben ist. Problemlos konnte nachvollzogen werden, wo die Fotografien aufge
nommen wurden, welche sich in Walters Fotonachlass befinden.

Eine Gruppe Kampfschwimmer auf der Treppe vor dem Schwimmbad Valdagno
Adrian Matthes vor dem Schimmbad, September 2022

Die Schwimmhalle, welche nun unter dem Namen „Aquaemotion“ betrieben wird, ist allerdings nicht für den Besuch auswärtiger Gäste ausgelegt. Die Einrichtung dient der lokalen Bevölkerung, insbesondere Schulklassen und Schwimmkursen zur sportlichen Betätigung. Nach einem umständlichen Prozedere, bei dem wir uns mit einem italienischsprachigen Mitgliedsantrag zum örtlichen Schwimmverein herumschlagen mussten, bekamen wir dennoch Zutritt. Auch im Innenraum wirkte es, als wäre die Zeit stehen geblieben. An Becken, Sprungbrett und den Umkleideräumen hatte sich augenscheinlich in den letzten 80 Jahren kaum etwas verändert. Nur interessierte Lokalhistoriker dürften vom Verwendungszweck der Einrichtung in den Kriegsjahren Kenntnis haben. Zumindest fand sich keinerlei sichtbarer Hinweis zur Geschichte der Schwimmhalle.

Unter den verwunderten Blicken eines anwesenden Seniorenschwimmkurses über das plötzliche Auftauchen der jungen Deutschen konnten wir einige Bahnen schwimmen. Mit ausreichend Fantasie war es in dieser historisch anmutenden Atmosphäre gut möglich, sich die trainierenden Kampfschwimmer bildlich vorzustellen. Wie mag es Walter wohl in diesem Schwimmbecken ergangen sein? Was hat ihn angetrieben, weiter zu schwimmen, als er schon kurz vor der völligen Erschöpfungstand?

Deutlich umständlicher als der Besuch in Valdagno sollte sich eine Erkundung der Ausbildungsstätte in der Lagune von Venedig erweisen. Über das Geschehen auf der Insel Alga nach dem Abzug der Kampfschwimmer konnte von mir vor unserem Besuch nur wenig in Erfahrung gebracht werden. Die stationierten Flugabwehrgeschütze blieben auch nach dem Abzug des „Lehrkommando 700“ im November 1944 besetzt. In den letzten Kriegstagen erfolgten mehrere Luftangriffe, über entstandene Schäden oder Tote finden sich aber keine Aufzeichnungen mehr. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges war die Insel unbewohnt ge
blieben, die Gebäudereste waren der Natur und somit dem Verfall überlassen worden. Zwar gab es immer wieder Überlegungen, die Insel zu einer Stiftung oder Universität auszubauen, keines dieser Projekte wurde jedoch bisher realisiert und Alga verblieb bis heute im Besitz der
Gemeinde Venedig.

Obwohl sich die nahezu rechteckige Insel unmittelbar neben einer stark befahrenen Schifffahrtsstraße direkt vor der Altstadt von Venedig befindet, verirren sich offenbar nur selten Besucher dorthin, erst recht keine Touristen. Meine Internetanfrage an einen lokalen Wassertaxiunternehmer blieb unbeantwortet. Eine Analyse der Satellitenbilder bei „Google Earth“ ergab, dass eine Überfahrt durchaus auch auf eigene Faust möglich sein dürfte. Nach geltenden Schifffahrtsrichtlinien in der Lagune ist das Führen von motorisierten Booten bis zu einer festgelegten PS-Grenze ohne Bootsführerschein gestattet. Ein ausdrückliches Betretungsverbot der Insel war im italienischen Regelwerk nicht ersichtlich.

Die Insel St. Alga heute (Google Earth)

Die Wahl fiel also schlussendlich auf ein kleines motorisiertes Schlauchboot. Vor Ort eingetroffen wurde zunächst keine geeignete Einsetzstelle für das Boot gefunden. Das Hafengelände unmittelbar gegenüber der Insel war weiträumig durch Zäune abgesperrt. Offenbar herrschte dort reger Betrieb und ich hatte nicht im Sinn, mit meinem Schlauchboot mehr Aufsehen zu erregen, als unbedingt nötig. Ein ruhiges Plätzchen mit Parkplatz fand sich schließlich an einem Kanal nahe der Ortschaft Malcontenta. Schnell war das Boot aufgepumpt, der Motor hineingehoben und die Spritleitungen angeschlossen. Mit langsamer
Fahrt ging es vorbei an den unzähligen kleinen Fischerbootsschuppen. Mehrere Kilometer mussten durch das verzweigte Netz an Wasserstraßen zurückgelegt werden, bis wir die eigentliche Lagune erreicht hatten. Am Anfang der großen Wasserstraße angelangt tauchte die Insel in der Ferne auf. Auf den Satellitenbildern hatte die Überfahrt noch nach
einem Katzensprung ausgesehen. Hatten wir uns mit dem Vorhaben doch übernommen? Gilt das Rechtsfahrgebot eigentlich auch auf einer Wasserstraße? Keine 200 Meter vor uns dampfte ein großes Frachtschiff vorbei. Gemächlich tuckerte das kleine Schlauchboot entlang der Begrenzungspfosten in Richtung Insel. Der Kapitän einer entgegenkommenden Touristenfähre blickte skeptisch auf unser Boot hinab.

Die Insel St. Alga 1944, Privataufnahme Walter Lewandowski

Endlich an der Insel angelangt wurde die kleine Einfahrt auf der Nordseite angesteuert. Dort zeigte sich, dass die kleine Bucht offenbar schon seit Jahren der illegalen Entsorgung von Abfällen diente. Die Überreste zweier verrotteter Ruderboote wurden sichtbar, knapp unter der Wasseroberfläche türmte sich im trüben Wasser der rostige Schrott. Der Motor wurde umgehend abgestellt, vorsichtig mit einem Ruder der Grund ertastet. Wellen schaukelten das Schlauchboot näher an die Anlegestelle heran. Große Vorsicht war geboten, bloß nicht das Gummiboot an einem der rostigen Metallteile beschädigen.

Die weitestgehend zerstörte und vermüllte Anlegestelle

Das Ufer war sicher erreicht, ein erster Blick auf die nahestehenden Gebäuderuinen möglich. Das Hauptgebäude war bis in den zweiten Stock erhalten. Schlingpflanzen hatten die Mauerreste fast vollständig eingehüllt, um das Gebäude rankte sich dichtes Gestrüpp. Zwar hatten die Wände stellenweise Löcher und auch ein Teil der Böden der Stockwerke war herausgebrochen, das Gebäude als solches war aber weitgehend erhalten geblieben. Es war mir nicht ersichtlich, ob die Beschädigungen an den Gebäuden von den Luftangriffen in den letzten Kriegstagen stammten oder erst später auf anderem Wege geschahen. Ganz offensichtlich waren dies aber Spuren der Zerstörung, welche sicherlich nicht durch natürlichen Verwitterungsprozess entstanden sind, sondern vielmehr willkürlich und ohne erkennbaren Zweck durch Menschen erfolgt sind.

Von der Anlegestelle arbeiteten wir uns entlang der Außenmauer bis zu den Resten des ehemaligen Kirchenschiffes, dem späteren Speisesaal, vor. Unterwegs war im Gestrüpp noch der Eingang eines Luftschutzunterstandes sichtbar geworden. Eine Unterscheidung zwischen Bausubstanz des historischen Klosters und dem Ausbau in den Kriegsjahren war leicht zu treffen. Die betonierten Bauten der Kriegsmarine heben sich von den sonst verwendeten roten Backsteinen ab.

Verladen von Ausrüstung im Sommer 1944, Privataufnahme Walter Lewandowski
Die verfallene Anlegestelle im September 2022

Neben den Luftschutzeinrichtungen fanden sich noch zahlreiche zu gängliche Kellerräume sowie ein Gewölbe unter dem Kirchenschiff. Eine Besichtigung der Flakstellungen im östlichen Teil der Insel war nicht möglich. Zu dicht war das Gestrüpp in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen, ein Durchkommen ohne Machete unmöglich.

Das Verwaltungsgebäude im August 1944, Privataufnahme Walter Lewandowski
Das völlig überwachsene Gebäude im September 2022

Bei unserem Rundgang durch die Ruinen ließen sich keinerlei Graffitischmiere
reien finden, wie es sonst an solchen verlassenen Orten üblich ist. Zwar machte die gesamte Insel einen sehr verwahrlosten Eindruck, die Menge zu erwartenden neuzeitlichen Mülls hielt sich jedoch in Grenzen. In den Schuttbergen neben den Gebäuden ließen sich oberflächlich
noch einige Relikte des Lehrkommandos finden. Neben einigen Glasflaschen, welche in die 40er Jahre zurückdatierten, fanden sich Porzellanscherben des Kriegsmarine-Kantinengeschirrs. Im Inneren des Gebäudes an der Anlegestelle lagen die vermoderten und zertrümmerten Reste des Mobiliars. Ob dieses nun während der Nutzung durch die Marine dorthin gelangte oder erst später, wird sich wohl nicht mehr zweifelsfrei klären lassen. Sollte es in ferner Zukunft zu einer Nutzung der Insel und einem damit verbundenen Ausbau kommen, ist es zu wünschen, dass bei den Baumaßnahmen auf vermutlich aufzufindende Spuren des „Lehrkommando 700“ geachtet wird. Fast unfreiwillig wären wir zu längeren Gästen auf der Insel geworden, denn erst beim neunten Versuch sprang der Bootsmotor wieder an und die Rückreise konnte beginnen.

Adrian Matthes während der Überfahrt nach St. Alga

Gerne hätte ich Walter Lewandowski noch persönlich vom Zustand „seiner“ Kampfschwimmer-Insel berichtet. Viele weitere offene Fragen haben sich bei meinen Recherchen ergeben. Mittels neu aufgefundenen Unterlagen aus seinem Nachlass sowie Erkenntnissen aus Archiven, arbeiten wir gerade an einer Neuauflage des Buches. Sie befinden sich noch im Besitz von Dokumenten oder Fotografien der Kriegsmarine Kampfschwimmer? Gerne freue ich mich über sämtliches Material, welches mir zur Verfügung gestellt wird.

Das 2023 neuaufgelegte Buch finden Sie in meinem Shop.

Adrian Matthes, Erlangen, November 2023

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