Als am Morgen des 8. Mai über Kleinmeinfeld bei Hersbruck ein tieffliegendes Flugzeug auftauchte, hielt man dieses zunächst für eine amerikanische Maschine. Doch es war ein noch voll intaktes deutsches Kampfflugzeug, das über dem Tal eine Schleife flog und ganz offensichtlich nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau hielt. Zum Schrecken der bei Kleinmeinfeld auf dem Feld arbeitenden Bauern kam das Flugzeug im Tiefflug bedrohlich nahe, fast wäre es noch zur Kollision mit den gekommen, bevor die Maschine mit einem Krachen auf dem Boden aufschlug. Das bruchgelandete Kampfflugzeug rumpelte über das Feld und rutschte schnell auf das Pferdefuhrwerk des Grünreuther Bauern Seibold zu, der gerade mit seiner Tochter Mist ausfuhr. Nur wenige Meter vor dem Fuhrwerk und dem nahen Igelsee kam der Flieger zum Stehen. Zwei Besatzungsmitglieder kletterten heraus, rannten auf den Bauern zu und erkundigten sich hastig, wo „der Ami“ stehe. Dann verschwand die gesamte Besatzung, Soldaten und Blitzmädel (Luftnachrichtenhelferinnen) in einem nahegelegenen Waldstück. Zuvor hatten sie noch die Bauern ermuntert, sich im Flugzeug an Ausrüstungsgegenständen und verwertbarem Material zu bedienen. Der Bauer befürchtete jedoch Probleme mit den US-Soldaten und fuhr mit seinem Gespann schleunigst Richtung Grünreuth ab.
Das mysteriöse Auftauchen des Flugzeuges bei Kleinmeinfeld war das Ende einer wagemutigen Flucht der Besatzung Leutnant Ludwig Stumpner aus der sogenannten „Alpenfestung“. Ludwig Stumptners Leidenschaft war das Fliegen. Deshalb wollte er freiwillig zur Luftwaffe. Sein Vater war nicht einverstanden und gab auch dem Drängen des Sohnes anfänglich nicht nach. Im Erprobungs- und Lehrkommando 21 flog er von der Ju 52 bis zur He 177 nahezu alle Flugzeugtypen. Der Schulung mit der Rheinstahl FX-Fernlenkbombe auf Usedom folgten noch einige angenehme Wochen auf dem Flugplatz Hessental bei Schwäbisch Hall. Zwischenzeitlich wurde die Staffel in 8./KG 100 umbenannt und auf die Dornier 217 umgerüstet. Das KG 100 wurde schließlich aufgelöst und die verbliebenen Besatzungen zum KG 200 nach Hildesheim abkommandiert.
Stumptner erinnert sich dazu:
“Für mich bedeuteten das noch kritische Tage. Von Hildesheim ging es nach Raffelding bei Linz. Dort lag das Kommando Olga mit gerade noch zwei Besatzungen. Die Besatzung mit Hptm. Operand und ich mit meiner Besatzung waren dafür vorgesehen, im gegnerischen Hinterland Agenten abzusetzen. Auf dem Flugplatz Hörsching stand noch eine Fw 200 aus unserem Kommando, die höchste Persönlichkeiten nach Spanien ausfliegen sollte. Als die Spitzen der Amerikaner 30 Kilometer vor dem Horst Raffelding standen, verlegten wir Hals über Kopf mit einer He 111 nach Aigen im Ennstal/Steiermark. Hptm. Oppermann machte sich mit ein einigen Männern vom technischen Personal per Pkw und Lkw auf den Weg. Der Platz in Aigen hatte keine Peilung für eine Schlechtwetterlandung. Im Sichtflug flog ich in Richtung Südosten. Der Pass Lueg lag in dichten Wolken. Ein Sichtflug war nicht mehr möglich. Also machten wir kehrt und wollten in Salzburg zwischenlanden. Wir waren noch im Ausrollen, da kamen Luftwaffensoldaten gestikulierend gerannt und forderten uns auf, sofort wieder zu starten, weil der Platz in den nächsten Minuten gesprengt werden sollte. Also kehrt und mit Vollgas ab. Der nächstgelegene Platz war Wels. Über Wels drehten wir eine Orientierungsrunde. Als wir deutsche Uniformen erkannten, setzten wir zur Landung an. In Wels konnten wir auch nicht bleiben, die Amerikaner wurden spätestens am nächsten Tag erwartet. Am nächsten Morgen hatte der Wettergott mit uns ein Einsehen. Wir konnten starten. Am Pass Lueg die gleichen Verhältnisse wie am Vortag, Schnee- und Regenschauer wechselten sich ab. Vor dem Alpenhauptkamm zogen wir eine Warteschleife nach der anderen und plötzlich riss die Wolkendecke auf. Unter uns auf der Passstraße erkannten wir unser Kommando mit Pkw und Lkw. Im Tiefflug erreichten wir den Platz in Aigen. Ob das gut geht, der Platz war für unsere He 111 sehr klein. Aber es hat doch gereicht, wir landeten auf unserem ,,letzten Flugplatz des Deutschen Reiches“. Die Lage war idyllisch. Aber es gab keine Unterkunft. In einer hoch über dem Platz gelegenen Heuscheune konnte wir unterziehen. Als erstes erfuhren wir in Aigen, dass wir nicht mehr der Luftwaffe unterstellt waren, sondern unsere Befehle direkt vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) erhielten. Unser oberster Chef war damit Heinrich Himmler. Die Befehle erhielten wir über einen SS-Verbindungsoffizier. Die letzten Tage des Krieges waren turbulent. Mir wurden zwei Flugaufträge beschert. Jeder für sich ein Himmelfahrtskommando! Gesprächsweise fragte mich der SS-Führer, ob ich eine Ju 52 fliegen kann. Meine Antwort ,,Na klar“ hatte Folgen:
Auftrag Nr.1: Mit einer Ju 52 sollte ich 20 rumänische Agenten zur Sabotage nach Rumänien fliegen. Die Agenten sollten im Morgengrauen in den Hochkarpaten auf einer Almwiese in der Nähe von Kronstadt abgesetzt werden. Das hieß in 1200 m Höhe im unbekannten Terrain landen. Einziger Anhaltspunkt sollte ein kleines Lagerfeuer sein, das von kampierenden Agenten zur Orientierung dort unterhalten wird. Ein Rückflug war ausgeschlossen. Der Treibstoff reichte gerade bis zu dieser ominösen Almwiese. Eine unaufschiebbare Zahnextraktion und in der Folge ein total zugeschwollenes Auge machte den 900 km langen Nachtflug zudem ohne funknavigatorische Unterstützung völlig unmöglich. Die SS suchte und fand einen Ersatzpiloten. Aus einem Trupp fahnenflüchtiger Soldaten, die auf ihre Exekution warteten, wurde ein Pilot ausfindig gemacht. Er hatte die Wahl, erschossen zu werden oder das Himmelfahrtskommando zu übernehmen. Die Ju startete am Abend gegen 21.30 Uhr. Wir beobachteten den Start und es kam, wie ich es vorausgeahnt hatte. Die vollbeladene Maschine kam mit Mühe über die Platzbegrenzung, dann sackte sie durch schlug hart auf. Das Fahrwerk brach weg. Nach diesem missglückten Start glaubte ich schon, noch einmal mit meiner Besatzung heil davongekommen zu sein! Mein Geschwulst ging zurück. Auftrag Nr. 2: Es war der 4. Mai 1945. Eine He 111 wurde mit Verpflegung und meteorologischen Geräten beladen. Die Ladung war für die Wetterstation auf dem Großglockner bestimmt. Der Auftrag lautete: „Bauchlandung auf dem Pasterzegletscher.“ Die He 111 war kein Fieseler Storch und ein Gletscher kein zugefrorener glatter Alpensee. Bei einer Bauchlandung war damit zu rechnen, dass die Maschine zu Bruch geht. Ob die Besatzung so eine unkalkulierbare Landung überlebt hätte, stand in den Sternen. Wir warteten auf den Einsatzbefehl. Mittlerweile standen die Amis in Radstadt und die russischen Panzer 30 km von unserem Flugplatz entfernt. Wir wollten auf keinen Fall in russische Gefangenschaft und so beschloss ich mit meiner Besatzung, den Flug zum Gletscher durchzuführen. In unserer Gruppe waren auch Blitzmädchen, die Angst vor den Russen hatten. Wir hatten noch Platz in der Maschine und boten deshalb fünf Mädchen an, sie mitzunehmen, wenn sie den Flug mit uns riskieren wollten. Wir machten die He 111 startklar und organisierten für alle Fälle noch fünf Fallschirme.
Am 7. Mai sollte es losgehen. Wir warteten den ganzen Tag auf den Startbefehl. Der Führungsstab hatte sich wegen der russischen Panzer abgesetzt, der Einsatzbefehl blieb aus. Der Platz war zur Plünderung freigegeben. Jeder machte, was er wollte. Die Parole ging um, wer am 8. Mai um 12.00 Uhr nicht in Radstadt ist, geht in russische Gefangenschaft. Wir entluden das für die Wetterstation bestimmte Material. Die Zeit war mittlerweile soweit fortgeschritten, dass es keinen Sinn machte, in die Nacht hineinzufliegen. Ich entschied deshalb, wir starten morgen in aller Frühe. Am 8. Mai um 06.30 Uhr bestiegen wir die Maschine. Wir konnten nicht starten, der Platz war vollständig im Nebel. Wir warteten und warteten auf die Auflösung des Nebels, immer mit dem sorgenvollen Gedanken, kommen wir noch vor den Russen weg? Nach einiger Zeit lichtete sich der Nebel soweit, dass wir um 08.30 Uhr den Start wagen konnten. Nun hieß es Startklappen ausfahren, Vollgas geben und die He 111 hochziehen. Zwischen einer Wolkenschicht und dem verschneiten Dachsteingebirge flogen wir in 2000 m zunächst in Richtung Nordwest. Wir durchstießen die Wolken und waren vom Boden aus nicht mehr erkennbar. Um uns stahlblauer Himmel und gleißende Sonne. In der Maschine fiel kein Wort, jeder war in seine Gedanken vertieft und sich bewusst, dass dieser Flug unser letzte Chance war und keiner wusste, wie und wo er enden würde. Plötzlich änderte sich die Situation, die schützende Wolkendecke war zu Ende. Unter uns lag Salzburg. Bei dieser Sicht hätte man uns über kurz oder lang entdeckt. Hinweis an alle: „Wir gehen in den Tiefflug über!“ In Baumhöhe nahm ich Kurs auf Richtung Straubing. Die Gegend war mir von meiner Ausbildungszeit her bekannt. Für unsere weiblichen Gäste wurde das ständige auf und ab über Hecken und Bäume zur Tortur. Die Mädchen wurden luftkrank. Man konnte das bis in die Kanzel riechen. Am Rand des Bayerischen Waldes ging ich auf Nordkurs. Ich wollte die Gegend zwischen Bayreuth und Nürnberg anfliegen und dann in einem Seitental der Fränkischen Schweiz die Maschine notlanden. Der Bordfunker meldete, dass eine Mustang auf uns einkurvte. Im gleichen Moment sah ich ein Seitental, in das ich die Maschine in Bodennähe hineinzog. Wir konnten die P-51 abschütteln. Wir flogen immer noch mit Nordkurs über den Bayerischen Wald. Wenig später kurvte eine Lightning über uns. Erneut die gleiche Taktik, rechts ab im Tiefstflug in ein Tal des Bayerwaldes verkrümelt. So konnten wir auch die P-38 abschütteln.
Über Schwandorf wurde es im Luftraum über uns lebendig. Mir war klar, wir mussten so schnell wie möglich herunter. Über der Hersbrucker Schweiz tat sich ein von Hochwald eingegrenztes U-förmiges Hochtal auf. Mein Gedanke – D a s ist es! Motoren gedrosselt, die Landeklappen halb ausgefahren, so flog ich mit Mindestgeschwindigkeit durch das Tal. Konzentriert auf Bodenhindernisse tat sich plötzlich vor mir der Hochwald auf. Ich zog im letzten Moment die Maschine hoch. Wegen der geringen Geschwindigkeit bekam ich noch Baumberührung mit der linken Luftschraube, die zertrümmert wegflog. Der Motor drehte auf 3000 U/min hoch. Also blitzschnell den linken Motor abstellen und mit dem rechten Motor auf Volllast gehen. Zu allem Übel musste ich mit der geringen Geschwindigkeit die sogenannte „Todeskurve (360°) über den stehenden Motor“ mit äußerster Anspannung fliegen. Endlos schien die Zeit zu vergehen, bis sich die Schneise wieder vor mir auftat. „Achtung festhalten“, rief ich nach hinten, weil die Mädchen nicht angeschnallt waren. Ein Bauernfuhrwerk musste noch knapp übersprungen werden, dann ging alles Schlag auf Schlag. Gas weg, Zündung aus, Brandhahn zu und das Kabinendach abwerfen – alles ein Werk von Sekunden. Ungewohnt hart, aber schulmäßig setzte die He 111 auf dem Acker vor einem Weiher auf, durchpflügte noch ca. 80 m den Boden – dann absolute Stille. Nichts wie raus aus der Maschine. Zwei Bauern fragten wir noch, wo der Ami sei und wir verschwanden mit unseren Habseligkeiten im nahegelegenen Wald.“
Der Bericht wurde dem Buch „Fliegerschicksale im Landkreis Nürnberger Land“ entnommen. Das Buch in deutscher Sprache schildert detailliert das Schicksal dutzender alliierter und deutscher Flugzeugbesatzungen im Nürnberger Umland und ist bei Interesse hier zu finden:
Fliegerschicksale im Landkreis Nürnberger Land 1918-1949
Fliegerschicksale im Landkreis Nürnberger Land Adrian Matthes Mit „Fliegerhang“ oder „Fliegerloch“ bezeichnet insbesondere die ältere Bevölkerung bis heute die Aufschlagsstellen abgestürzter Flugzeuge im Gelände – Flurbezeichnungen im Volksmund, hinter denen sich oft Schicksale des Luftkrieges verbergen. Über 40 Flugzeuge fielen zwischen 1918 und 1949 über dem Landkreis Nürnberger Land vom Himmel. In ihnen saßen Flieger […]
Die Flucht der Flugzeugbesatzung Leutnant Stumptner aus der „Alpenfestung“